Oft fällt es mir schwer, mich an Details aus der letzten Spielrunde zu erinnern. Dafür kann es viele Gründe geben und nicht einer davon ist Schuld der Spielleitung: Es kann an diesem Abend sehr viel im Spiel passiert sein, es fanden seitdem eine Menge anderer Runden statt und die Erinnerungen vermischen sich, es war einfach ein langer Tag und man war müde oder es wurde beim letzten Mal spät und alle waren nicht mehr so konzentriert oder man war anderweitig abgelenkt… kurz, es ist eine gute Idee, wenn jemand es auf sich nimmt, ein paar Notizen über den Verlauf der Runde zu machen und beim nächsten Termin damit den Wiedereinstieg zu erleichtern. Es ist einfach wenig motivierend für eine Spielleitung, wenn sich niemand mehr an die letzte Runde erinnern kann.
Das hätte besser jemand aufschreiben sollen!
Ein Verlaufsprotokoll ist nützlich. Ich weiß nicht, wie es euch dabei geht, aber ich war bei vielen Gelegenheiten Protokollführer in verschiedenen Gremien und Spielrunden und ich habe drei wichtige Sachen gelernt:
- Ein gutes Protokoll zu führen und gleichzeitig noch an der Spielrunde teilzunehmen erfordert eine Menge Konzentration über einen teils sehr langen Zeitraum: Das ist richtig Arbeit.
- Wenn es wiederkehrend dieselben Personen sind, die sich diese zusätzliche Aufgabe aufladen und häufig hat diese Person bald keine Lust oder Zeit mehr auf Protokolle. Betrüblicherweise sind protokollierfreudige Personen nicht im Rollenspielfachhandel erhältlich, zudem wäre das illegal.
- Protokollieren macht den allermeisten Leuten keinen Spaß und wir wollen mehr Spaß haben, nicht weniger! Daher ist es zwar in der Theorie eine gute Idee, die Zusammenfassung der letzten Runde reihum gehen zu lassen - das schläft erfahrungsgemäß schnell ein.
Wie man es drehen und wenden mag, die Spielereignisse zusammen zu fassen wird Zeit und Mühe kosten. Aber kann man es spannender und unterhaltsamer gestalten, damit es sich nicht nach Arbeit anfühlt und könnte diese Aufgabe zu einem Teil des Rollenspiels werden und neue Impulse für die Spielleitung und das eigene Spielerlebnis liefern?
Subjektive Spielberichte
Für mich hat es sich bewährt, subjektive innenweltliche Aufzeichnungen zu machen.
- Subjektiv: Du schreibst in der Rolle deiner Figur/des Spielercharakters (SC). Was der SC nicht sieht, nicht bemerkt, nicht versteht, fehlinterpretiert - das schreibst du auf, obwohl du es aus deiner Perspektive besser weißt. Überlege, wie deine Figur sich ausdrücken würde. Ist ihr Wortschatz groß oder klein? Wie gut kann sie mit Worten umgehen?
- Innerweltlich: Die Figur schreibt über ihre eigene Welt und wie sie erlebt. Wenn ein gloranthischer Mensch eine Erkältung hat, dann wird er es nicht „Infektion“ nennen, sondern böse Krankheitsgeister sind schuld. Wenn du dich nicht gut in der Hintergrundwelt auskennst, beschreib wie was du fühlst und erlebst: „Ich musste husten und meine Nase lief.“
- Tagebücher: Du beschreibst wie der SC sich an die Ereignisse erinnert und darüber reflektiert. Verwende die Vergangenheitsform. Du kannst die Figur ihre Gefühle schildern lassen und wie sie ihre Taten im Nachhinein bewertet - Bedauern, Genugtuung, Stolz, alles hat seinen Platz. Nimm den Begriff „Tagebuch“ nicht wörtlich und fasse zusammen, was der Spielsitzung passiert ist.
Es gibt aus meiner Sicht gute Argumente für diese Art von Spielberichten, die ich u.a. für Onlinerunden in Malmsturm und RuneQuest geschrieben habe.
- Rein sachliche Protokolle sind häufig trocken und langweilig und es macht wenig Spaß, sie zu schreiben - unter anderem, weil sie neutral und ohne Wertungen gehalten werden. Subjektive Spielberichte sind ein unterhaltsamer Zeitvertreib, in dem die Autor*innen sich ausleben können!
- Subjektive Erfahrungsberichte enthalten Emotionen und eigene Sichtweisen, sie geben mehr Einblick in das Seelenleben der Figur und daher liefern sie für die Lesenden einen höheren Unterhaltungswert: „Das hat Charline sich dabei in Wirklichkeit gedacht! Sie war viel netter als ich gedacht hatte!“
- Die Spielleitung kann neue Inspiration gewinnen und gegebenenfalls eigene Fehler entdecken
- Sie sind mehr Rollenspiel im Sinne von Charakterspiel!Du hast mehr Spotlight für deine Figur, ohne Andere in den Hintergrund zu drängen. Sie finden deine Darstellung zu einseitig? Ein weiterer Tagebucheintrag aus einem anderen SC-Blickwinkel kann nicht schaden…
- Wenn du das Gefühl hast, nicht gut im Charakterspiel zu sein oder wenn du ein stille und/oder introvertierte Figur spielst, kannst du Einblicke geben, die am Tisch leicht „untergehen“ können und dich mehr als Teil der Runde erleben. Andere Mitspielende können in der nächsten Sitzung auf deinen Tagebucheintrag eingehen und deine Figur mehr einbeziehen - wenn du das willst.
- Du kannst anderen mehr über die Spielwelt aus Sicht deiner Figur erzählen, ohne an Spielabend allzu viel Zeit mit womöglich nicht von allen gewollten Vorträgen auszufüllen. In einem Text kann ein solcher Absatz leicht übersprungen werden.
- Wenn Dir nicht alle Ereignisse der Sitzung mehr einfallen, dann lass sie einfach weg. Die Anderen werden die Lücken leicht füllen: Ein erster Einstieg in die Vorkommnisse des letzten Treffens reicht erfahrungsgemäß aus. Das nimmt Druck weg und hilft gegen Perfektionismus.
- Deine Spielberichte werden später zu einer Erinnerung an eine großartige Spielrunde!
Gegenargumente gibt es ebenfalls:
- Niemand in der Runde hat Spaß am Schreiben
- Erzählerische Aspekte sind in der Runde nicht gewünscht
- Es gibt ungeklärte Konflikte in der Gruppe (siehe unten)
Das ist wenig, oder? Probiert das aus!
Hinweise:
- Erfinde nichts dazu, das andere stören könnte. Was nicht in der Sitzung passiert ist, kommt nicht in den Spielbericht. Insbesondere dann nicht, wenn Figuren anderer Spielender Handlungen unterstellt werden, die am Tisch nicht vorkamen. Im Zweifel suche das Gespräch unter vier Augen.
- Diese Methode hat sich in charakterzentrierten, erzählerischen, handlungsreichen Spielrunden, bei einem taktisch/strategischem Schwerpunkt mit weniger erzählerischen Inhalten und purer Action wird es schwieriger. Aber probiert das einfach aus!
- Subjektive Spielberichte setzen eine weitgehend harmonische, kooperative Gruppenstruktur voraus. Bei Verrat und Intrigen innerhalb der Gruppe rate ich von dieser Methode ab.
- Wenn du Begriffe aus der Hintergrundwelt verwendest, füge Links zu Wiki-Einträgen oder anderen Erklärungen ein, damit dein Text von allen verstanden wird.
- Fehler sind okay! Es sind die Aufzeichnungen einer fiktiven Person, daher können Lücken und Fehleinschätzungen vorkommen!
- Kläre mit deiner Spielleitung, ob Anmerkungen und Korrekturen ihrerseits gewünscht sind
- Es ist kein Roman und keine Kurzgeschichte! Schreib’ den Text einfach runter, nichts hier muss perfekt sein! Nicht jede Figur ist Schriftsteller*in.
- Ich bevorzuge ein minimalistisches Blog wie WriteFreely(z.B. bei RollenspielMonster oder pnpde.social), weil es mich nicht ablenkt, ich Formatierung per MarkDown mag und man es auf vielfältige Weise abonnieren kann (Mail, RSS, Fediverse…), zudem kann man die Blogs auf Wunsch per Passwort schützen. Ebenso gut funktioniert z.B. eine geteilte GoogleDocs Datei oder ein gemeinsames Wiki.
- Mein kleines Zweitblog mit meinen aktuellen Spielberichten ist Was die Mondmotte sah. Die aktuellen Beiträge sind hier auf Moonmoth.de in der rechten Seitenspalte verlinkt.
Ich freue mich auf euer Feedback und fast noch mehr auf eure eigenen Rollenspieltagebuch-Links in den Kommentaren!
Foto: CC0 Public Domain von form PxHere
@Moonmoth@moonmoth.de Wie immer sollte man diese erste Version bei mir immer als Entwurf sehen, weil in den nächsten Tagen sicher einige Ideen und Verbesserungsvorschläge aufkommen werden – einige davon bestimmt auch von mir selbst ☺️
kennst du Graphic Recording? Vielleicht eine Möglichkeit
Das sind Sketch Notes, oder? Das könnte eine andere interessante Möglichkeit sein, aber ich mag es zu schreiben.