Charakterhintergrund schreiben (Teil 2)

Dieser Artikel schließt wenig überraschend an Teil 1 an. Lies den zuerst, bis gleich!

Wir haben uns beim letzten Mal Gedanken über das erste Treffen der Spielrunde („Session Zero“) gemacht, damit dort die Grundlagen für die Entwicklung des SC gelegt werden können. Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, vorab gut dosierte Infos zu liefern, Termine und Spielzeiten ebenso wie Sicherheitswerkzeuge möglichst bereit geklärt zu haben und sich beim Treffen – egal ob das in Person oder online stattfindet – auf offene Fragen, das Kennenlernen und die Spielinhalte zu konzentrieren.

Charaktere in der Session Zero anlegen

Unsere Ziele beim ersten Treffen sind neben der Organisierung der Spielsitzungen:

  1. Eine Gruppe aus SC entwerfen
  2. Die SC anspielen und die Geschichte beginnen

Kennen sich die SC?

Für mich eine der wichtigsten Fragen gleich zu Beginn. Lange war es üblich, dass die Spieler*innencharaktere (SC) sich zu Spielbeginn erstmals treffen und sich bei dieser Gelegenheit einander vorstellen. Das kann funktionieren, führt aber häufig zu abendfüllenden Vorträgen, an deren Ende kaum noch Zeit mehr zum Rollenspiel blieb.

Nach derartigen Erfahrungen heraus ziehe ich es vor, dass die SC sich zu Spielbeginn kennen oder zumindest ein paar Gemeinsamkeiten haben.

Ich lege mir gern ein paar Vorschläge und Fragen zurecht, um die Runde ein wenig zu inspirieren und Gespräche in Gang zu bekommen:

Woher kennen die SC sich? Waren sie gemeinsam im Krieg, waren sie Überlebende einer Schlacht, sind sie möglicherweise Geschwister, sind sie seit der Kindheit befreundet, sind sie mit einem Zirkus von Ort zu Ort gezogen? Oder sind sie aus verschiedenen oder denselben Gründen Stammgäste im Theater, einem Spielsalon, einer Taverne usw.? Vereint sie der Rachedurst gegen gemeinsame Feind*innen? Sind sie Mitglieder einer Band? Kennen sie sich von der Arbeit? Welcher Arbeit?

Womit haben die SC sich in den letzten Tagen vor Spielbeginn beschäftigt? Sind es besondere Zeiten? Ist alles wie gewohnt?

Warum sind die SC zu Spielbeginn an Ort und Stelle? (Unabhängig davon, ob sie sich vorher kannten.) Zur richtigen Zeit am richtigen Ort? Zur falschen Zeit am falschen Ort? Pure Absicht? Eine Einladung? Eine Stellenausschreibung?

Sich auf ein Gruppenkonzept einigen

Wenn es nicht von der Spielleitung vorgegeben wurde, hat sich in vielen Fällen zu diesem Zeitpunkt ein grobes Thema oder Konzept für die SC-Gruppe gefunden, zum Beispiel so: „Ihr seid allesamt wegen Diebstahls zum Tode verurteilt worden, aber der Herzog hat euch widerwillig für eine besondere Mission ausgewählt, die nur von Kriminellen wie euch erledigt werden kann. Als Lohn winkt euch die Begnadigung.“

Es kann deutlich einfacher sein, wie „Ihr arbeitet alle in der Nachtschicht bei derselben Firma“.

Es ist möglich, hier Kompromisse zu finden und verschiedene Ideen zusammenzubringen: „Ihr seid alle Arbeitskolleg*innen in der Nachtschicht, aber heimlich betreibt ihr Industriespionage.“

Wichtig: Die SL sollte eindeutig herausstellen, dass die SC in einer Gruppe vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Rollenspielerische Offenbarungseide wie „Mein Krieger hat aber gar keine Lust auf Abenteuer!“ oder „ich bin eine Einzelgängerin und mag keine Gruppen.“ sollten vermieden werden.

Welche Funktion haben die SC in der Gruppe?

Jeder SC braucht mindestens eine Funktion in der Gruppe – so wie in einem klassischen Gangsterfilm es gern eine Anführer*in gibt, eine Person mit guten Kontakten, eine Figur „fürs Grobe“, eine mit geschickten Fingern, um Safes und Schlösser zu knacken, jemand, der sich in jedes Gebäude schleichen kann usw. Hier geht es nicht allein darum, die erforderlichen spielmechanischen Nischen abzudecken, es fällt zudem leichter, schnell Inspiration für den eigenen SC zu finden, wenn es eine überschaubare Auswahl an Optionen gibt. Querschläger wie „Ich will aber ein Tiefseetaucher sein!“ lassen sich so leichter eindämmen oder – noch besser – in den Charakter integrieren: „Ulf ist Tiefseetaucher, aber seit der gescheiterten Forschungsmission im Marianengraben ist er tief verschuldet und versucht, eine neue Mission zu finanzieren – mit illegalen Mitteln. Er knackt jetzt Safes!“

Es kann Spaß machen, noch eine zweite Rolle in der Gruppe auszudenken: Vielleicht organisiert Ulf auch die regelmäßige Pokerrunde oder er ist der Fahrer des Fluchtwagens. Vielleicht ist Illyra nicht nur Meuchelmörderin und Giftmischerin, sondern auch die Köchin der Gruppe. Hobbies sind immer eine gute Idee! So erhalten wir vielschichtige Figuren.

Was motiviert die SC?

Ulf hat einen Hintergrund und vor allem ist klar, was ihn zu seinen Missetaten motiviert: Der Tiefseetaucher will tiefseetauchen!

SC brauchen einen Antrieb, es muss etwas geben, das sie außergewöhnliche Dinge unternehmen lässt, etwas das sie Abenteuer riskieren lässt!

Geld allein funktioniert immer, ist aber ein wenig langweilig. Spannender ist es schon, wenn besprochen wird, was der SC mit all dem Reichtum anfangen will. Vielleicht will jemand seinen Großeltern eine Kreuzfahrt bezahlen? Einen Plattenladen aufmachen? Einen Rollenspielverlag gründen?

Die Persönlichkeit kommt (fast) von ganz allein

Überlege dir ein paar Charakterzüge, die den SC auszeichnen – vielleicht ist die Figur misstrauisch, bis sie jemandem vertraut, vielleicht hat sie ein Herz aus Gold, ist aber auch gutgläubig und sentimental, vielleicht ist sie unsicher, aber einfühlsam.

Hiermit würde ich mich nicht zu lange aufhalten. Die endgültige Persönlichkeit eines SC entwickelt sich am besten im laufenden Spiel aus der Gruppendynamik am Tisch heraus und sich hier vor Spielbeginn unnötig festzulegen macht aus meiner Sicht wenig Sinn.

SC anspielen

Die SL sollte eine kurze Szene vorbereiten, in denen die SC ausprobiert werden können und miteinander interagieren. Es hat sich bewährt, gleich in eine turbulente Szene einzusteigen (auf Würfeln können wir u.a. für diesen Moment verzichten), in der einiges los ist. Bestenfalls findet der Einstieg ins Geschehen noch am selben Abend statt.

Die Hintergrundgeschichte schreiben

Die Session Zero liegt hinter dir, du bist zuhause und beschließt, endlich die Hintergrundgeschichte zu schreiben.

Ganz ehrlich: Tu es nicht. „Schreib einfach keine Hintergrundgeschichte!“ mag jetzt nach fast zwei Artikeln ein wenig nach Verrat klingen, aber ich meine es ernst: Du weißt jetzt genug über deinen SC, um zu spielen. Du brauchst keine seitenlange Geschichte, die dich und deine Spielleitung (SL) unnötig einengt, mit Details, die dich Zeit kosten und oft nicht im Spiel genutzt werden.

Wenn du einfach Spaß am Schreiben hast, will ich dich nicht abhalten.

Ich habe eine bessere Alternative, nämlich…

Lückenhafte Bewerbungsunterlagen

  • Verwende Stichpunkte, um wichtige Eckpunkte im Leben des SC festzuhalten, mit so wenigen Details wie möglich, um dir und der SL später mehr Freiheiten im Spiel zu gewährleisten. Denk an „schlechter tabellarischer Lebenslauf“.
  • „Weiße Flecken“ in der Biographie sind pures Gold für Rollenspiel. Plane sie großzügig ein, damit sie im Spiel ausgefüllt werden können: „Du erkennst den Erzschurken: Das ist ja dein alter Meister, bei dem du einst das Schlosserhandwerk gelernt hast!“
  • Fasse dich kurz. Nur das Wichtigste. Fünf Einträge sind meistens genug!
  • Denke daran, dass dein SC eine gemeinsame Vergangenheit mit anderen SC haben könnte. Sprich dich mit den Spielenden ab. Baut gemeinsame Erlebnisse ein.

Keine Geheimnisse!

Charaktergeheimnisse nerven, ganz ehrlich. Fast immer. Alle am Tisch sollen die Geschichte deines SC kennen, um so besser können sie in ihren Rollen auf deinen SC eingehen.

Natürlich sind Geheimnisse ein wichtiger Teil der Literatur und des Genrefilms. Wenn Figuren aber im Rollenspiel nicht das sind, was sie scheinen und möglicherweise Verrat an der Gruppe begehen werden, kann das Auswirkungen im „Richtigen Leben“ haben: „Wie soll ich meinem Freund noch vertrauen, wenn der mich im Spiel über Jahre hinters Licht führen könnte?“ – derartige Situationen haben Freundschaften und Beziehungen beendet. Bitte besprecht das vorab in der Gruppe, redet mit eurer SL.

Ich würde solche Ideen aber auf kurze Formate wie One-Shots beschränken: Rollenspiel ist eine emotionale Sache und manipulatives Verhalten über Jahre – sei es im Spiel oder im realen Leben – wird von den Opfern selten unterhaltsam gefunden. Ich kann hier nur ausdrücklich warnen.

Abschluss

Ich hoffe, ich konnte euch wenig inspirieren – meine Vorgehensweise ist die, die sich bei mir in der Praxis bewährt hat, aber es müssen noch hunderte anderer guter Methoden existieren. Falls ihr eigene „Best Practices“ habt, schreibt sie mir gern in die Kommentare!

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