Swords of the Serpentine (Pelgrane Press)

Schon seit längerer Zeit interessiere ich mich für das eigentlich speziell für Detektivabenteuer entwickelte GUMSHOE Regelsystem (der Clou: Hinweise werden immer gefunden und mit Hilfe von speziellen Fertigkeiten interpretiert). Da ich - wie ihr euch vermutlich inzwischen schon selbst gedacht habt - zudem ein großer Fan des Sword & Sorcery Genres bin, war es keine Frage, dass Swords of the Serpentine früher oder später ins Haus musste.

Eigentlich dachte ich, dass es sich zu einem weiteren geliebten, aber ungespielten Dauergast meines Regals entwickeln würde, aber das Spiel hat mich dann doch in vielerlei Hinsicht überrascht.

Was will das Spiel

Weder Emily Dresner noch der etwas bekanntere Kevin Kulp (u.a. Autor von TimeWatch) waren mir bisher geläufig, aber der lebendige, durchaus humorvolle Schreibstil hinterlässt gleich zu Beginn einen starken Eindruck, nicht nur wegen des hohen Unterhaltungswertes: Dieses Buch versucht die SL und die Spielenden auf einer ziemlich wilden Reise mitzunehmen und gibt sich Mühe, immer nah an der Spielpraxis zu bleiben. Das ist auch notwendig, da das Spiel in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Ansätze verfolgt, nämlich eine Mischung aus ausgeprägten erzählerischen Anteilen, die von klaren Regelmechanismen unterstützt werden. Es gibt also einen allgegenwärtigen Regelcrunch, der grundlegend auf 1W6-Würfen plus Punkten aus Fertigkeitspools aufbaut. Das muss man mögen, gerade auch den tendenziell eher würfelarmen Spielablauf. Im Testspiel erwies diese Variante von Gumshoe sich als flüssig spielbar. Dazu später mehr.

Lupe, Schwert, Zauberei… oder spitze Zunge?

Nicht ganz überraschend glänzt SotS in Detektivabenteuern, aber im Unterschied zu anderen GUMSHOE Spielen kann das Wissen aus den besonders mächtigen Investigativskills nicht nur beim Finden und der Verwertung von Hinweisen eingesetzt werden, sondern auch in sozialen Situationen, für Magie und sogar im Kampf und sorgt dabei für besonders cinematische Effekte. Man kann Widersacher also ebenso mit Waffen bezwingen wie man sie mit Magie niederringen oder eben auch so fürchterlich kränken kann, bis sie besiegt sind - auch in Kombination und mit phantasievollen Manövern. Das gefällt mir sehr, sehr gut und wird vom Autor*innen-Team mit sehr vielen Praxisbeispielen (bei jeder einzelnen Regel!) vorbildlich erklärt. Eines ist damit auch klar: SotS trifft eher das Spielgefühl eines 7te See und ist keineswegs an Realismus interessiert, liefert dafür aber ein stabiles Regelgerüst für Krimis, Mantel und Degen und insbesondere das Spiel rund um politischen und sozialen Gruppierungen (Factions).

Magie

Das sehr freie Magiesystem basiert auf dem Grundgedanken, dass Zauberei (hier immer „Sorcery“) immer Korruption entweder beim Spielercharakter selbst oder dauerhaft in der Umgebung hinterlässt. Kein Wunder also, dass die Kirche Zauberei verbietet und unbarmherzig verfolgt, denn sie verletzt die Stadt und damit die Göttin selbst.
Sorcerer in Eversink beziehen ihre Macht aus dem Wissen des lange versunkenen Serpentine Empire oder durch kleine Götter, Geister oder Dämonen, mit denen sie Pakte eingegangen oder denen sie als Wirtskörper dienen. sie besessen sind. Die Spielenden wählen oder erfinden Machtsphären wie „Alter“, „Flüche“, „Pflanzen“, „Liebe“, „Fleisch“ oder „Wasser“ aus, auf die sich ihre Zauberei beziehen muss.

Eversink

Ein Blick ins Buch - aufgeschlagene Doppelseite, links zweispaltiger Satz, rechts eine ganzseititge Illustration der Stadt von der Seeseite aus gesehen.
Ganz recht - die Lagunenstadt Stadt Eversink ist Eigentum oder sogar vielleicht der Körper der Handelsgottheit Denari , jede den Besitz wechselnde Münze ist heilig. Aus unerklärlichen Gründen versinken die Gebäude unaufhaltsam und es daher werden ständig neue Stockwerke oder neue Bauwerke auf alten errichtet, was diesem Fantasy-Renaissance Venedig-meets-Lankhmar einen ganz eigenen Reiz verleiht.

Es gibt Abenteuerideen für jede in gerade genug Detail beschriebene Örtlichkeit, zahlreiche kleine Details und eine Menge Raum für eigene Ideen. Emily Dresner – vor allem sie war für die Ausarbeitung des Settings verantwortlich – hat hier eine überzeugende Arbeit abgeliefert, die auch in anderen Rollenspielen verwendbar ist.

Charakterisierung durch Ausrüstung

Es gibt noch viele Details, die ich beschreiben könnte. Ein Bespiel: Die Spielenden werden angehalten, ihre Startausrüstung unverwechselbar zu beschreiben („das abgenutzte Schwert meiner toten Mutter“, „das ausgeblichene Halstuch meiner großen Liebe“), erhalten sie diese Gegenstände umsonst - und dazu mehr Punkte, um sich Fertigkeiten zu kaufen. Aber ich will eure Geduld nicht zu sehr beanspruchen.

Spielpraxis

Wir haben das mitgelieferte Abenteuer „Corpse Astray“ in einer kleinen Gruppe von drei Leuten an zwei kurzweiligen Abenden online gespielt. Von uns hatte nur eine Person flüchtige Erfahrung mit GUMSHOE, auch für mich als SL war es das erste Mal. Die Charaktererschaffung ist sehr frei, aber insgesamt recht einfach zu handhaben. Es gibt keinen Zufallsfaktor, Spielende können ihre Figuren als prinzipiell auch gut alleine entwickeln, ich empfehle jedoch, zunächst vorgefertigte Figuren oder die zahlreichen Templates aus dem Regelwerk zu verwenden oder sie an eigene Wünsche anzupassen. Sobald man ein Gefühl für das Spiel und die teils ungewöhnlichen Fertigkeiten hat („Leechcraft“!) entwickelt hat, geht der Bau von Figuren per Punkteverteilung schnell von der Hand.

Im Spiel zeigte sich schnell, dass es bei aller regeltechnischen Einfachheit doch einige Umgewöhnung kostet, außerhalb von Actionszenen sehr wenig oder gar nicht würfeln, im Kampf oder anderen Konflikten und dass es sich aber wieder doch sehr „traditionell“ anfühlt.. Man gewöhnt sich allerdings schnell an GUMSHOE, am zweiten Tag lief es schon erheblich flüssiger.

Wichtig wäre für mich als SL, dass die Spielstimmung gut abgestimmt werden muss: Genre-typisch mögen die Hauptfiguren zwar zweifelhafte Gestalten, aber keineswegs skrupellose Halsabschneider*innen. SotS macht meiner Ansicht nach am meisten Spaß, wenn es mit List und Tücke und einem guten Sinn für Humor gespielt wird.

Ich will auch erwähnen, dass Eversink als Hintergrund richtig gut funktioniert und von allen in der Runde sehr positiv hervorgehoben wurde. Alle konnten sich nach meinem Gefühl schnell in dieser wundersamen Stadt zurechtfinden und da überforderten die vielen kleinen weirden Eigenheiten des Settings auch nicht die Vorstellungskraft der Gruppe, sondern brachten erst die passende Würze.

Bei meiner nächsten Runde werde erst einmal mit den Grundmechanismen anfangen und erst mit der Zeit die wirklich vielen Optionen und Möglichkeiten des dicken Regelwerkes einführen. SotS verzeiht Ungenauigkeiten und der Spielfluss ist wichtiger als „es richtig zu spielen“ – es ist ein sehr SL-freundliches Spiel. Es funktioniert am Besten, wenn man sich Zeit nimmt und viel Zeit für „Charakterspiel“ lässt. Die SC sind schon zu Beginn echte Held*innen und ich musste mich nach so vielen Oldschool-Spielen erst wieder trauen, ihnen echte Bedrohungen entgegenzuwerfen. Apropos Bedrohungen: Die Regeln für Gegenspieler sind clever und haben mir viel Spaß gemacht – nicht jeder Gegner hat besondere Fähigkeiten, aber in SotS haben echte Erzschurken haben Sachen drauf, mit denen sie SC-Gruppen überraschen und richtig nerven können - sie können sich z.B. durchaus einfach durch Einsatz von Malus-Punkten gelegentlich einmal in der Initiative vordrängeln, um einen allzu listigen Plan der SC zu durchkreuzen. Das gefiel mir mehr, als ich vorab gedacht hatte.

Das Startabenteuer ist relativ linear, überfordert nicht und hilft sowohl der SL als auch den Spielenden beim Kennenlernen der Regeln und des Settings. Ich bin mir aber relativ sicher, dass SotS in einem freieren Szenario erst richtig zu Höchstform aufläuft.

Fazit

Insgesamt will ich euch Swords of the Serpentine gern ans Herz legen, wenn ihr ein sehr vielseitig einsetzbares, etwas ungewöhnliches Fantasyrollenspiel sucht, das Charakterspiel fördert und gleichzeitig schwungvolle, wendungsreiche Kampagnen mit richtig knalliger Action erlaubt, ohne dabei ein Komplexitätsmonster zu sein. Das Spiel wirkt einfach „rund“, dabei profitiert es sicherlich davon, dass Robin Laws´ GUMSHOE System seit 2007 kontinuierlich weiterentwickelt und verfeinert wurde.

Für mich ein echter Geheimtipp, der zu Unrecht auch aufgrund seiner pandemiebedingt langwierigen und schwierigen Produktion bisher viel zu unbekannt geblieben ist. Ich kann euch nur empfehlen, dem Spiel eine Chance zu geben – gerade für phantasievolle, aktive Spielrunden und improvisationsfreudige Spielleitungen bietet es sich an.
Diese Testrunde wird nicht meine letzte Erfahrung mit Swords of the Serpentine gewesen sein. Bin ich ein bisschen hingerissen von diesem Spiel? Durchaus, ja.

Positiv:

  • Umfassende und praxisnahe Erklärung des GUMSHOE Systems mit Spielbeispielen zu jeder einzelnen Regel und zahlreichen Designerkommentaren
  • Faszinierendes, in sich schlüssiges Setting mit sehr großem Abenteuerpotential und vielen mitgelieferten „Storyhooks“
  • sehr elegantes und modernes 1W6-basiertes Poolsystem
  • Flexibel an eigene Wünsche anpass- und „hackbar“
  • übersichtliches Infodesign und Layout
  • Sehr wertiges, stabiles Hardcover
  • Ausführlicher Spielleitungsabschnitt, Monster, magische Gegenstände, detailliertes Stadtsetting, Weltbeschreibung, Sicherheitstools, dazu ein längeres Abenteuer und mehr - ein tatsächlich vollständiges Rollenspiel in einem Buch
  • Startabenteuer ist relativ linear
  • Es sind vollfarbige 392 Seiten vollgepackt mit wirklich einsetzbaren Informationen!

Negativ:

  • einige mäßige Illustrationen
  • so modern, dass eventuell einige Eingewöhnung erforderlich ist
  • Startabenteuer ist relativ linear
  • Es sind einfach immer noch satte 392 Seiten!
  • Als Import kostspieliger als andere Rollenspiele 1

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1. Lasst euch nicht von zweifelhaften Importeuren bei Amazon abzocken, sondern kauft bei seriösen Leuten wie dem Sphärenmeister. SotS muss definitiv nicht über 90 Euro kosten!

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